Wie lang kann Italien sich das leisten?
Wie lang kann Italien sich das leisten?
Rutscht Italien wieder in eine Staatsschuldenkrise? Die von den Wahlsiegern geschürten Diskussionen um einen Euro-Ausstieg haben an den Finanzmärkten viel Vertrauen zerstört. Führende Ökonomen versuchen, die Lage zu beruhigen.
Angesichts von Finanzmarkt-Turbulenzen um italienische Staatsanleihen aufgrund der andauernden politischen Krise in dem Land hat der scheidende Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Vítor Constancio, das Land vor den Folgen einer abermaligen Staatsschuldenkrise gewarnt. „Als 2012 Finanzmärkte das Land attackiert haben, hat das gezeigt: Sie können in ihrer Wahrnehmung sprunghaft sein und die Risikoeinschätzung für einen Schuldner abrupt und schnell ändern, manchmal mit gravierenden Folgen“, sagte Constancio in einer am Dienstag veröffentlichten Vorabmeldung des Magazins „Der Spiegel“. „Wir werden sehen, was nun passiert.“
Die Rendite zweijähriger italienischer Staatsanleihen stieg am Dienstag von 0,80 Prozent auf 2,34 Prozent am Mittag. Das ist ein Krisensymptom ersten Ranges, weil die Renditen zweijähriger Staatsanleihen in normalen Zeiten sehr stark von der Geldpolitik beeinflusst sind und daher innerhalb der Eurozone kaum divergieren. Die Renditedifferenz zwischen zweijährigen italienischen und deutschen Staatsanleihen betrug weit mehr als 2 Prozent. Eine so große Differenz gab es zuletzt in der heißen Phase der Eurokrise im Jahr 2012.
Ob die EZB im Notfall eingreifen und Italien vor einer Zahlungsunfähigkeit retten würde, ließ Constancio offen. Jede Intervention müsse „der Erfüllung unseres Mandats dienen“ und „bestimmten Bedingungen“ folgen, sagte der EZB-Vize. „Italien kennt die Regeln. Sie sollten diese vielleicht noch einmal genau lesen.“
Notenbankchef: Wir müssen uns an Euro-Regeln halten
Die italienische Notenbank warnte vor einem Verlust des Vertrauens in Italien. „Wir dürfen niemals vergessen, dass wir immer nur ein paar Schritte von dem sehr ernsten Risiko eines Verlusts des unersetzbaren Guts von Vertrauen entfernt sind“, sagte Ignazio Visco, Gouverneur der italienischen Notenbank, am Dienstag in Rom. Eine Finanzkrise müsse vermieden werden. Visco bestimmt auch im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) über die Geldpolitik mit.
Er forderte die Politik in Italien auf, die Reformpolitik fortzusetzen. Die europäischen Vorgaben müssten akzeptiert werden. „Die Zukunft Italiens ist in Europa“, sagte Visco. Er betonte, dass für die aktuelle Entwicklung nicht die Vorgaben der EU oder Spekulanten verantwortlich sind. Vielmehr hätten die Italiener mit ihrem Handeln und politischen Vorstellungen Umschichtungen an den nationalen und internationalen Märkten ausgelöst.
In Italien waren die euroskeptischen Parteien Fünf Sterne und Lega vor wenigen Tagen mit der Regierungsbildung gescheitert. Ihre Pläne hatten auch eine Ausweitung der Staatsverschuldung beinhaltet. Nun stehen dem Land Neuwahlen bevor. Beobachter gehen davon aus, dass beide Gruppierungen ihre Positionen noch zuspitzen werden. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie auch aus Neuwahlen als Sieger hervorgehen werden.
Politische Kommentatoren in Italien warfen den Parteien vor, dass sie in Wahrheit aus dem Euro aussteigen wollten, das aber in ihren Wahlprogrammen verschwiegen hätten. „Sie haben die italienischen Bürger und Wähler angelogen, über die Absichten und die daraus folgenden Konsequenzen“, schrieb Lucia Annunziata, Fernsehmoderatorin, ehemalige Präsidentin des Staatssenders Rai und Chefredakteurin der „Huffington Post“.
Lega: Wir wollen nicht aus dem Euro – „aber die Regeln ändern“
Von Politikern der rechten Lega wird abgestritten, dass man Italien geradewegs aus dem Euro führen wolle. Andererseits war es gerade Lega-Chef Matteo Salvini, der unbedingt den Eurogegner Alberto Bagnai unter seinen Parlamentskandidaten haben wollte. Dieser Wirtschaftsprofessor hat zwei Bücher darüber veröffentlicht, dass der Ausstieg aus dem Euro von Vorteil und doch ganz einfach sei. Der Lega-Chef hatte am Montag gesagt: „In unseren Programmen steht nicht der Austritt aus der Währungsunion. Aber wir wollen die Regeln ändern.“
Selbst der deutliche Anstieg von Risikozuschlägen und Zinsen für italienische Staatstitel hat vorübergehend noch keine dramatischen Folgen für Italien, weil die durchschnittliche Laufzeit der italienischen Staatsschuld in den vergangenen Jahren auf annähernd 7,5 Jahre verlängert wurde. Nach aktuellen Daten beträgt sie immer noch fast 7 Jahre. Doch die Schulden belaufen sich auf mehr als 2300 Milliarden Euro, Ende 2017 lag die Schuldenquote bei 131,8 Prozent eines Bruttoinlandsprodukts von 1717 Milliarden Euro.
Im Falle großer Zweifel könnte aber die Liquidität der Staatskasse ein Problem werden, wenn private Investoren nichts mehr leihen wollen. Während der zwölf Monate bis März 2019 weist die Statistik der Staatsschulden fällige langfristige Titel von 182 Milliarden Euro aus, zu denen noch je nach Bedarf Emissionen kurzlaufender Titel von 160 bis 200 Milliarden Euro kommen.
Ein bequemer Weg für den Absatz der Staatstitel war bisher immer der Verkauf an italienische Banken, die in ihren Bilanzen rund 27 Prozent der Staatstitel halten; die Bestände entsprechen bei manchen Banken dem gesamten Eigenkapital. Andere europäische Länder weigern sich, in der Bankenunion die Risiken für die Bankeinlagen zu vergemeinschaften, wenn in den italienischen Bankbilanzen wiederum viele staatliche Schuldenrisiken stecken. Doch die Italiener wollen eine europäische Einlagengarantie ohne Neubewertung der finanziellen Risiken durch die Staatstitel.
dal sito www.faz.net